Mit der Rubrik „Vier Fragen an …“ möchten wir unterschiedliche Meinungen und Einstellungen aus verschiedenen Blickwinkeln zum Thema Zivilcourage vorstellen und haben eine ganze Reihe an wichtigen Partnern und Experten befragt. Heute: Götz Nordbruch. Er ist Islamwissenschaftler und Mitbegründer von ufuq.de e.V. Der Verein entwickelt pädagogische Projekte und Materialien zu den Themenfeldern Islam, Islamfeindlichkeit und Islamismus.
1.) Was ist ein ziviler Held für Sie?
Ich bin kein Freund von Helden, denn der Begriff legt nahe, dass es um etwas Besonderes und Außergewöhnliches geht. Im Alltag geht es aber für mich eher darum, sich für die Rechte anderer einzusetzen und Verantwortung dafür zu übernehmen, dass jeder nach seinen Vorstellungen leben kann. Und einen solchen Einsatz erwarte ich eigentlich von allen. Dass wir trotzdem oft von „Helden“ sprechen, wenn jemand zum Beispiel dazwischen geht, wenn eine Frau mit Kopftuch beleidigt wird, macht aber deutlich, dass ein solcher Einsatz eben nicht selbstverständlich ist. Insofern: Helden sind für mich die, die das Selbstverständliche tun und sich für die Rechte anderer einsetzen und dafür die Stimme erheben.
2.) Wie wichtig sind zivile Helden für die Radikalisierungsprävention?
Menschen werden nicht mit extremistischen Positionen geboren und entwickeln diese nicht im stillen Kämmerlein. Radikalisierungen sind auch immer eine Reaktion auf das Umfeld und auf Erfahrungen, die radikalisierte Personen in der Gesellschaft machen. Insofern ist es wichtig sich zu fragen, was die Gesellschaft zu Radikalisierungen beiträgt – und wie sie der Abwendung von Menschen von der Gesellschaft entgegenwirken kann. Hier sind wir letztlich alle gefragt: als Freunde oder Eltern, als Lehrerinnen oder Sportlehrer, als Journalist oder als Politikerin. Helden sind dann nicht nur die, die sich an Beratungsstellen wenden, wenn es zu spät ist, sondern auch die, die Türen öffnen, Wege aufzeigen oder eine starke Schulter anbieten für Menschen, die aus welchen Gründen auch immer auf der Suche nach Halt, Orientierung, Gemeinschaft und Perspektiven sind. Und die, die Grenzen ziehen, wenn jemand andere abwertet, angreift oder mobbt.
3.) Ab welchem Alter sollten Kinder und Jugendliche auf die Gefahr des Extremismus aufmerksam gemacht werden und was ist die Rolle der Eltern?
Es wäre falsch, bei Kindern von einer Radikalisierung zu sprechen. Extremismus bedeutet ja, dass ich die Welt nur noch in den Kategorien Schwarz und Weiß, Gut und Böse wahrnehme und mich selbst auf eine Gruppe zurückziehe, die angeblich besonders, rein und exklusiv ist. Kinder verfügen nicht über ein solches festgefügtes Weltbild, das sie selbst und aus freien Stücken gewählt haben. Aber natürlich kann man auch Kinder schon so fördern und stärken, dass solche Vorstellungen später für sie nicht attraktiv werden. Oder dass sie gar nicht erst in eine Situation kommen, in der sie nach solchen Antworten suchen. Erfahrungen von Anerkennung und Selbstwirksamkeit sind etwas, was auch Kindern vermittelt werden sollte: Jeder Mensch braucht das Wissen, dass er oder sie als Person mit ihren Besonderheiten anerkannt wird, und jeder Mensch möchte sicher sein, sein Umfeld mitgestalten zu können.
Das gilt natürlich gerade auch für Kinder. Wichtig ist auch ein Wissen um Widersprüche und Konflikte – denn die Welt ist zu vielfältig und komplex, als dass man sie mit einfachen Erklärungen verstehen könnte. Das auszuhalten ist aber nicht einfach und fällt vielen schwer. Insofern können Eltern genauso wie Erzieher und Lehrerinnen Kinder darin bestärken, dass solche Unsicherheiten und Widersprüche zum Leben dazu gehören – und dass auch sie selbst oft nicht für alles eine Erklärung haben und trotzdem sicher und selbstbewusst durch die Welt gehen.
4.) Wie wichtig sind Islamunterricht und Social Media an Schulen für die Extremismusprävention?
Religionsunterricht ist das einzige Fach, das im Grundgesetz erwähnt wird. Daher ist es die Aufgabe des Staates, einen solchen Unterricht auch für den Islam zu ermöglichen – und zwar ganz unabhängig davon, ob ein solcher Unterricht auch für die Präventionsarbeit von Bedeutung wäre. Das gilt in ähnlicher Weise auch für die Rolle von Sozialen Medien. Schulen stehen in der Verantwortung, die Lebenswelten von Jugendlichen angemessen zu berücksichtigen und sie dabei zu unterstützen, sich in diesen Lebenswelten zurecht zu finden. Islamunterricht und Medienbildung wären aber natürlich auch für die Präventionsarbeit eine große Hilfe: Wo sonst ist es so gut möglich, Jugendliche für Hate Speech, extremistische Ansprachen oder Fake News zu sensibilisieren und ihnen Möglichkeiten aufzuzeigen, sich selbst mit eigenen Interessen und Perspektiven in die Debatte einzubringen?