Mit der Rubrik „Vier Fragen an …“ möchten wir unterschiedliche Meinungen und Einstellungen aus verschiedenen Blickwinkeln zum Thema Zivilcourage vorstellen und haben eine ganze Reihe an wichtigen Partnern und Experten befragt. Heute: Tobias Meilike, der seit 2021 Veritas, die Beratungsstelle für Betroffene von Verschwörungserzählungen in Berlin, leitet.
1. Was ist ein Ziviler Held/Zivile Heldin für Sie?
Aus meiner Sicht sind viele unserer Klient*innen zivile Held*innen. Oft wenden sich nämlich Menschen aus dem sozialen Umfeld von Verschwörungsgläubigen an uns. Das sind Familienangehörige oder Freund*innen. Auch wenn diese die Beziehung zu den Verschwörungsgläubigen als große Belastung erleben, wollen sie die entsprechende Person oft nicht leichtfertig aufgeben. Sie sind bemüht mit ihr den Kontakt aufrecht zu erhalten und Ihnen auch wieder positive und gemeinschaftsfähige Weltbilder zu vermitteln. Durch dieses Engagement halten sie oft verschwörungsgläubige Menschen davon ab, komplett im Kaninchenbau der Verschwörungstheorien verloren zu gehen, sich zu isolieren und ggf. weiter zu radikalisieren. Oft können geliebte Personen sogar Distanzierungsprozesse bei Verschwörungsgläubigen aktiv fördern. Ihr Bemühen ist damit also nicht nur Teil einer Rettung der familiären oder freundschaftlicher Beziehungen, sondern ein wichtiger Beitrag zu unserem friedlichen und demokratischen Miteinander. Dieses bemühen verdient daher aus meiner Sicht jegliche Unterstützung.
2. Inwiefern begleitet Sie das Thema Verschwörungsmythen im Alltag?
Verschwörungstheorien wurden von vielen Menschen lange belächelt und nicht ernst genommen. Doch mit der Pandemie wurde offensichtlich, wie weit dieses Denken in der deutschen Gesellschaft verbreitet ist. Überall traf man auf Menschen, die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie auch mit Bezug auf vermeintliche Verschwörungen ablehnten. Sie stellten damit unser gesellschaftliches Miteinander, in dem wir alle auch Verantwortung für die schwächsten Teile unserer Gesellschaft tragen in Frage. Fast jede Form von Extremismus greift darüber hinaus auf Verschwörungstheorien als Fundament zurück. Sie sind oft Ausgangspunkt und Brandbeschleuniger von Radikalisierungsprozessen. Und selbst die Debatte um die Klimakrise ist massiv von diesem Denken in Teilen unserer Bevölkerung mitgeprägt. Es ist daher dringend notwendig, dass wir das Thema endlich ernst nehmen und nicht mehr belächeln. Andernfalls riskieren wir mittelfristig in politischen Debatten und im Alltag unser gesellschaftliches Miteinander zu verlieren.
3. Warum erleben Ihrer Meinung nach Verschwörungstheorien gerade jetzt so großen Zulauf?
Seit der Finanzkrise 2008 erleben wir in Deutschland eine sogenannte Krise nach der anderen. Krisenzeiten sind immer auch Zeiten großer Verunsicherung, die in Teilen der Bevölkerung Selbstwirksamkeit und Selbstwert in Frage stellen. Beispielweise wenn der Arbeitsplatz, das angesparte Vermögen oder die eigene (berufliche) Identität nicht sicher erscheint. Menschen erleben sich dann Ohnmächtig, äußeren Umständen schlicht ausgeliefert. Genau hier setzen dann Verschwörungstheorien als Kompensationsmechanismus ein. Sie geben eine Erklärung für die aktuelle Situation, im Handeln von vermeintlichen bösen Eliten im Hintergrund. Konnte man vorher nichts machen gegen die Finanzkrise, scheint die Situation durchschau- und beeinflussbar. Aus komplexen Prozessen die zur Krise geführt haben, werden schwarz-weiße Welt- bzw. Feindbilder, die man meist klar Identifizieren und gegen die man was machen kann. Durch missionarischen Eifer oder auch politische Gewalt. Hinzu kommt, dass man sich als Verschwörungsgläubiger zur guten Seite zählen kann, die durch vermeintliche Klugheit die aktuelle Weltlage durchschaut hat. Verschwörungstheorien sind damit Komplexitätsreduzierer, die Menschen ein positives Selbstbild und Selbstwirksamkeit vermitteln. Daher erleben Sie auch in der aktuellen Krise wieder enormen Zustrom.
4. Vernünftig argumentieren mit Verschwörungsgläubigen im direkten Umfeld – Ihre Tipps?
Der wichtigste Tipp ist mit Verschwörungsgläubigen nicht auf der inhaltlichen Ebene ins Gespräch zu kommen. Denn Menschen wenden sich Verschwörungstheorien nicht zu, weil diese so gute Argumente haben, sondern aufgrund von emotionalen und sozialen Bedürfnissen. Es gilt daher im Gespräch darum, diese Emotionen in den Mittelpunkt der Kommunikation zu stellen und herauszuarbeiten. Je besser sich Menschen Ihren Emotionen und Gefühlen nämlich bewusst werden, desto eher können Sie auch reflektieren, wie Sie mit diesen bewusst umgehen und diese kompensieren können. Sie finden dann möglicherweise Alternativen um z.B. mit erlebten Ohnmachtsgefühlen zurecht zu kommen und distanzieren sich ggf. von Verschwörungstheorien. Grundsätzlich gilt hier jedoch auch, dass Personen ermächtigt werden sollen, sich selbst zu verstehen und nicht von außen eine Diagnose erhalten. Denn neben einen an Gefühlen ausgerichteten Gespräch ist auch es auch wichtig stets den Gegenüber als gleichwertig anzuerkennen und auf gleicher Augenhöhe zu kommunizieren.
Weitere Tipps im Umgang finden Sie darüber hinaus auf der Webseite von veritas (veritas-berlin.de)
Interaktiver Film
Infos zu Verschwörungsmythen
Tipps zum Umgang mit Verschwörungstheorien
Die Beratungsstelle veritas ist erreichbar:
Telefon
030 83543072
E-Mail
kontakt@veritas-berlin.de
hatte am Ende den Brandanschlag. Sehr nice!
Hass im Netz ist dann ok, wenn er von Kai Gniffke, Georg Restle oder Anja Reschke kommt.